Aus: Reulinger Generalanzeiger vom 15.02.2002
Reutlinger Selbsthilfegruppe „Schwerhörig-Na und!“ Drei Jahre alt
Einmalig in der gesamten Region Neckar-Alb
Reutlingen.(stö) „Chips und Schokolade sind eine Ausnahme, denn Hören und Essen gleichzeitig ist schwierig“, sagt Iris Peplau, die mit ihrem Gehör seit einer Operation vor ein paar Jahren Schwierigkeiten hat. Aber wenn die Selbsthilfegruppe für Hörgeschädigte „Schwerhörig-Na und!“ Geburtstag feiert, nehmen ihre Mitglieder die knispelnden Nebengeräusche der Leckereien, die von ihren Hörgeräten genau so verstärkt werden wie Sprache, schon mal in Kauf.
Drei Jahre wurde die Gruppe in diesem Monat alt und sie ist die Einzige der gesamten Region Neckar-Alb.
Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden ersten und dritten Mittwoch im Bürgerspital in der Rommelsbacher Straße.
Die Situation von Schwerhörigen
ist anders als die der Gehörlosen oder Tauben. Von den Tauben unterscheidet sie vor allem ein mehr oder weniger großer Rest an Hörfähigkeit. Die Gebärdensprache, mit der sich Gehörlose unterhalten, haben sie nie gelernt. Stattdessen können sie sprechen. Wie alle anderen Menschen, deren Ohren in Ordnung sind. Wer einem Schwerhörigen gegenübersteht, merkt zunächst nichts von einer Behinderung. „Und genau das ist oft die Schwierigkeit“, sind sich die Betroffenen einig. Die Leute nehmen das Handicap nicht wahr und somit auch keine Rücksicht. Sie achten beim Sprechen nicht auf Sichtkontakt und sind häufig sauer, weil sie davon ausgehen, dass der Andere einfach nicht zugehört hat. Das Dumme dabei ist: „Selbst wir ertappen uns oft bei diesem Verhalten, das wir uns in der Zeit, als wir noch gehört haben, angewöhnt haben“, muss so mancher zugeben.
Eintauchen in eine fremde Welt
„Ich hatte nie etwas mit Schwerhörigkeit zu tun, bevor ich selbst betroffen war“, erinnert sich Iris Peplau. „Wie ein Hammer“ habe sie die Behinderung dann getroffen. „Es war, als wenn ich mit einem Mal in eine ganz andere Welt eingetaucht bin.“ Deshalb sei es ihr dann einfach ungeheuer wichtig geworden, andere Leute kennen zu lernen, die ebenfalls damit leben müssen, nicht mehr alles zu hören. Doch dAas gestaltete sich schwieriger als zunächst gedacht. Nach Stuttgart oder zum Bodensee hätte sie fahren müssen, wenn sie Leidensgefährten hätte treffen wollen. „Hier im weiteren Umfeld des Landkreises Tübingen/Reutlingen gab es absolut nichts“, berichtet sie. So setzte sie kurzerhand eine Anzeige auf.
Wie alles begann
Christina Raatz war die erste, die sich meldete. Zu Zweit haben die beiden dann Handzettel bei Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und bei der AOK verteilt. „Als sich Annegret daraufhin meldete, waren wir schon zu Dritt“, berichteten die beiden Frauen von den Anfängen ihrer Aktivitäten. Dass der kleine Kreis der Interessengemeinschaft dann über die Grenzen Reutlingens hinaus bekannt wurde, war der Ortskrankenkasse zu verdanken. Die engagierten Gründerinnen wollten eigentlich nur ihre Informationen irgendwo aufhängen. Doch statt nur eines Platzes am Schwarzen Brett bekamen sie gleich jede Menge Unterstützung für Organisation und Öffentlichkeitsarbeit angeboten. „Rund 100 Leute waren dann bei der Eröffnungsveranstaltung im Februar 1999 hier“, erzählte Iris Peplau.
Geborgenheit in der Gruppe
Inzwischen sind es rund zehn Personen, die sich regelmäßig im alten Bürgerspital in der Rommelsbacher Straße treffen. Sie kommen aus Tübingen, Mössingen, Bad Urach, Metzingen, Rottenburg und natürlich auch aus Reutlingen. Die zehn Empfänger der drahtlosen Übertragungsanlage, die den Hörgeschädigten als Dauerleihgabe eines Freundes zur Verfügung stehen, reichen A dann meist gerade so aus. „Ohne die Anlage, mit der nur verstärkt wird, was über’s Mikrofon geht, ist es schwer, einen Einzelnen in einer größeren Gruppe Leute zu verstehen“, erklären die Männer und Frauen, die sich hier regelmäßig jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat mit Ausnahme der Schulferienzeiten von 19 bis 21 Uhr treffen.
Hörgeräte und alles wird gut?
Für die meisten Schwerhörigen war das Hörgerät die erste große Enttäuschung. Verstärkt werden mit den Geräten nämlich alle Geräusche und je lauter es eingestellt ist, desto schwieriger wird es, herauszufiltern, was man wirklich hören will. Bei den meisten hat es dann eine ganze Weile gedauert, bis sie gemerkt haben, dass es unterm Strich besser ist, den Vertärker etwas leiser zu stellen. „Wir hören nun zwar nicht alles, haben aber auch keine Kopfschmerzen mehr“, haben sie herausgefunden. Damit die Betroffenen möglichst praxisnahe Informationen bekommen, gibt es auch immer wieder Treffen mit Hörgeräteakustikern, die vorstellen, was es Neues gibt. Ärzte werden eingeladen, Workshops und Vorträge finden statt. Doch genau so wichtig sind den Mitliedern der Selbsthilfegruppe die Abende, an denen sie einfach nur so zusammensitzen. „In diesem Kreis muss man nichts erklären und keine Kapriolen schlagen, um akzeptiert zu werden“, sagen sie. Und was am allerwichtigsten ist: „Wir haben jede Menge Spaß miteinander.“