von Norbert Muth
Ausgangslage: Email eines Reutlinger Hörgeräte-Akustikers zum neuen Übertragungssystem Auracast an diverse Empfänger. Infos zu Auracast finden Sie u.a. auf bluetooth.com
Auszug aus der Email des Hörakustikers
„Induktionsanlagen sind für die Betroffenen ein unbestrittener Mehrwert. Dennoch ist deren Zukunft sehr unsicher. Seit geraumer Zeit ist das Thema „Auracast“ auf der Überholspur. CI-Hersteller und Hörgerätehersteller sprechen Auracast eine große Zukunft zu. Auracast ist häufig kostengünstiger, stabiler in der Übertragung, hat eine hohe Kompatibilität und ist baulich einfach umzusetzen.“
Antwort von Norbert Muth an den Hörgeräte-Akustiker
Ich möchte Ihnen dazu meine Ausarbeitung zum Thema Auracast zukommen lassen, die auch auf die Problematik von Auracast eingeht. Kurz zusammengefasst sind die bisher ungelösten Probleme von Auracast:
- keine barrierefreie Höranlagentechnik, da Smartphone notwendig (Abhängigkeit von Smartphone)
- sozial ausgrenzend wegen hoher Zuzahlungen für Hörgeräte
- problematisch für Mundabsehen und eigene Sprachkontrolle (hohe Latenz, etwa 40ms)
- keine Kompatibilität für bisherige Hörsysteme
- problematisch beim Datenschutz
- Bluetooth ist keine zuverlässige Übertragungstechnik
- nicht für sicherheitsrelevante Bereiche, da Gefahr von Fake-Sendern
Hat das Hörgerätesystem von Schwerhörigen kein Auracast, dann braucht man einen zusätzlichen externen Auracast-Empfänger (Listen Technologies „Auri“ – kostenpflichtig), der das Auracast-Signal als analoges Signal ausgibt. Dieses analoge Signal muss dann entweder
- über eine induktive Halsringschleife auf die T-Spule im Hörgerät übertragen werden
- oder über ein zum Hörgerät gehörendes Zusatzgerät mit analogem Eingang über die konzernspezifische Drahtlostechnik in die Hörsysteme übertragen werden, z.B. über ein Roger-System oder ein Resound MultiMic oder einen TV-Streamer. Dies erhöht die Latenz um etwa 20ms auf 60ms
- hat das Hörsystem weder T-Spule noch ein Zusatzgerät mit einem externen analogen Eingang, muss unter Qualitätsverlust per Kopfhörer gehört werden.
Gerade die altersbegleitend Schwerhörigen sind überwiegend nicht Technik-affin. Typischerweise benutzen sie keine Zusatztechnik und für die Betroffenen müssen die Hörgeräte auf Knopfdruck funktionieren. Umschalten auf T-Spule geht noch, aber ein Smartphone mit einer speziellen App zu bedienen, die Hörsysteme auf einen bestimmten Auracast Sender und einen seiner Streams umschalten, das ist für die älteren Schwerhörigen ein großes Hindernis.
Bei 40-60 ms Latenzzeit ist ein Mundabsehen kaum mehr möglich. Hören Schwerhörige über eine Auracast-Höranlage und machen z.B. bei einer Diskussionsveranstaltungen einen Redebeitrag, so kommt das eigene Wort nach 40-60 ms über die Höranlage als Echo in ihre Ohren. Das irritiert so stark, dass sie ins Stottern kommen, den Faden verlieren und aus dem Konzept geraten. Das wirft auf Schwerhörige ein sehr schlechtes Licht, ist deshalb diskriminierend und ehrverletzend.
Kostengünstiger ist Auracast keineswegs, jedenfalls nicht für die schwerhörigen Kunden. Denn Auracast-fähige Hörgeräte sind nur mit hoher Zuzahlung zu bekommen. Auch eine Auracast-Installation für den Anlagenbetreiber wird nicht unbedingt günstiger, denn Signalabschattungen sind möglich und benötigen deshalb ein Bluetooth-Mesh-System mit mehreren Sendern.
Auracast hat entgegen Ihrer Behauptung keinerlei Kompatibilität. Auracast-Sender können nur an Auracast-fähige Hörsysteme übertragen. Alle bisherigen Hörsysteme, auch die mit Bluetooth-Fähigkeit, sind nicht kompatibel und sind auch nicht auf Auracast aufrüstbar, denn es gab Hardware-Änderungen und niemand lötet in Hörsystemen neue Chips ein oder liefert neue Firmware für alte Hörgeräte und lässt sie weltweit neu zertifizieren.
Induktive Höranlagen sind auch nicht veraltete Technik, sondern die einzige barrierefreie Höranlagentechnik für die Grundversorgung von Hörsystemträger:innen.
Das Alter einer Technik entscheidet nicht darüber, ob sie veraltet ist. Denn dann müssten Nähnadeln (Erfindung zu Beginn der Eiszeit), Räder (Erfindung in der Steinzeit) und Steak-Grills (Erfindung in der Zeit der Jäger und Sammler) ebenso veraltet sein. Die T-Spule ist weiterhin laut Biha in 85% aller verkauften Hörgeräte vorhanden, sie ist auch in den Auracast-vorbereiteten Hörsystemen zu bekommen. Praktisch alle Hörsysteme sind mit T-Spule zu bekommen. Das einzige Problem ist, dass Hörakustiker sie nicht aktivieren oder nicht für die höherpreisigen Hörgeräte bestellen und somit den Schwerhörigen den bestmöglichen Behinderungsausgleich nicht gewähren. Manchmal geschieht es auch, dass ein Hörakustiker sogar eine funktionierende T-Spule einfach ohne Rückfrage abschaltet !
Ende der Stellungnahme
Download PDF Inklusion: Welche Höranlage? (Stand 01. Februar 2024)
Download PDF Kritische Analyse: Auracast – Vor- und Nachteile
Was sind Fake-Sender? (Auszug aus der Download-PDF Kritische Analyse: Auracast – Vor- und Nachteile)
Auracast sieht vom Design her vor, dass jeder seinen Sender und seine Streams frei benennen kann; das ist auch notwendig, sonst wird das bequeme Teilen von Musik mit Freunden z.B. in der Bahn fast unmöglich. Wenn z.B. der Auracast-Sender automatisch nach dem Smartphone benannt wird, gäbe es deshalb zahlreiche Sender „Galaxy S24“. Es ist also problemlos möglich, einen
Sender-Namen zu wählen, der vorgaukelt, ein offizieller Sender der Einrichtung zu sein. Wird er so benannt, dass er alphabetisch vor dem offiziellen Sender liegt, so wird er im Auracast-Assistenten auf dem Smartphone in der Regel zuerst angezeigt.
Beispiel:
offizieller Sendename: Munic-Airport-IX
Fake-Sendernamen:
Fake 1: Munic-Airport IX (Fällt der fehlende Bindestrich auf?)
Fake 2: Airport Munic IX
Fake 3: Muenchen-Airport-IX
Den Stream kann man benennen wie den offiziellen Stream, also z.B. „Gate 19“. Nun werden die meisten Nutzer instinktiv auf den Fake-Sender schalten. Dort können dann problemlos Falschmeldungen, Propaganda oder sogar falsche sicherheitsrelevante Durchsagen verbreitet werden. Also z.B. angebliche Umleitungen von Flügen auf andere Terminals/Gates oder Panikmache, indem ein voraussichtlicher Absturz auf das Terminal XY gemeldet wird oder Duchsagen von Terroristen, dass irgendwo ein Feuer ausgebrochen sei und man in eine bestimmte Richtung fliehen sollte und die Leute rennen den Terroristen in die Arme. Auch in Kirchen dürfte es Probleme geben, wenn die falsche Predigt übertragen wird und das fällt nicht unbedingt schnell auf, weil ein Mundabsehen erheblich gestört ist.
Auch wenn man dazu übergeht, Barcodes zu scannen: Barcodes an der Wand können überklebt, Infozettel ausgetauscht werden.